Bankturbulenzen – droht ein Szenario Lehman 2.0?

Spannend wie ein Krimi waren und sind die Turbulenzen im Bankenmarkt seit Ende März. Erneut mussten auch europäische Banken den „perfekten Bankrun“ erleben oder abwenden. Es entstand eine Top10 G-SIB-Bank, aus der Not geboren und hoffentlich nie in Not kommend. Im Nachgang eine Zusammenfassung und Einordnung wichtiger Geschehnisse. In unserem Tages-Online-Workshop Banken 2030 gehen wir auch auf diese Themen ein.

DIE RAHMENBEDINGUNGEN

  1. Geldpolitik – unwillentlicher Mitverursacher des Problems
    Nach der Finanzmarktkrise 2008 verfolgte die EZB eine ausgeprägte Niedrigzinspolitik und kaufte massiv Anleihen auf, um für die Wirtschaft und vor allem für südeuropäischen Länder ein günstiges Zinsniveau herzustellen und deflationieren Tendenzen entgegenzuwirken. Negativzinsen für Banken von 2014 bis Mitte 2022 und eine konsolidierte EZB-Bilanzsumme von 8 Billionen € waren das Ergebnis. Der Markt wurde mit Liquidität geflutet.
  2. Die zusätzliche Liquidität erzeugte zunächst noch keine Inflation. Das zusätzliche Geld suchte sich andere Märkte: Die Börse und der Immobilienmarkt erlebten eine nahezu zehnjährige Hausse. Baufi-Kunden hatten eine „Happy Hour“ mit Zinsen von unter 1% für zehnjährige Zinsbindungen. Der deutsche Staat finanzierte sich zu Negativzinsen.

DER BANKENMARKT

  1. Ab 2019 füllten Banken ihre Aktivseite mit langlaufenden und niedrigst verzinslichen Staatsanleihen und Baufi-Krediten. Unter anderem wollte man die EZB-Negativzinsen von 0,5% p.a. vermeiden und investierte in konservative Aktiva mit festem Zins.
  2. Die Mittel für diese Langfristinvestments kamen oft aus kurzfristigen Einlagen der Kunden: Fristentransformation heißt die Funktion. Ein bewußter Bruch der goldenen Bilanzregel, der im Normalfall gut geht und Zusatzerträge bringt.
  3. Aus der Fristentransformation ergeben sich allerdings zwei hohe Risiken: Zinssteigerungen machen Kundeneinlagen teurer, die Kreditzinsen können allerdings nicht erhöht werden. So kann es passieren, dass die Bank mehr Zinsen zahlen muss, als sie erhält. Aktuell für etliche Banken bereits der Fall! Die BaFin meinte im Herbst l.J.: Das wird eine geringe zweistellige Anzahl von Instituten nicht überleben. Das weit größere Risiko betrifft die Liquidität: Die ausgereichten Mittel sind langfristig gebunden, die kurzfristigen Einlagen können von den Kunden schnell abgerufen werden. In Zeiten von Social Media können sich Kunden auch sehr schnell „gruppieren“ und einen klassischen Bankrun auslösen. So geschehen bei der Silicon Valley Bank in Kalifornien.
  4. Keine Bank weltweit könnte einen Bankrun überleben. Banken sind darauf angewiesen, dass ihre wichtigste Währung trägt: VERTRAUEN !

  5. Wenn Kunden ihrer Bank nicht mehr vertrauen, ziehen sie die Gelder schnell und in großen Mengen ab. Wie bei der SVB und der Credit Suisse geschehen. Beide Bankpleiten waren Sonderfälle mit Management- und Aufsichtsfehlern, Skandalen, operativen Verlusten …Im Fall SVB griffen Zinsänderungsrisiken bei den Eigenanlagen, die zu hohen Buchverlusten führten und Eigenkapital vernichteten. Anleger verloren letztlich das Vertrauen und holten – befeuert über Social Media – massenhaft ihre Einlagen ab. Allein an einem Tag 40 Mrd. USD, rund 20% der Bilanzsumme. In den USA sehen sich weitere kleine und mittelgroße Banken Einlagenabzügen ausgesetzt und fordern Sicherheit von US-Regierung für alle Einlagen, um Bankpleiten abzuwenden! Interessant: Einleger verlieren das Vertrauen, weil zu wenig Bankregulatorik für mittelgroße Banken in USA herrscht. Die Nutznießer dieser Regelung rufen nun nach dem Staat, während sie über Jahre von einer laxen Regulatorik profitiert haben!
  1. Die Credit Suisse ging durch eine Reihe von Skandalen und Krisen und erlitt in 2022 einen Verlust von 7,3 Milliarden CHF. Sie wurde zwangsfusioniert mit der UBS. Auch diese Bank hat ihr wertvollstes Gut verspielt: VERTRAUEN! Allein in Q4 2022 zogen Kunden 140 Mrd. CHF ab. Mit der neuen UBS entsteht eine Bank, die für die Schweiz definitiv „Too big to bail“ ist: Mit einer aggregierten Bilanzsumme von rund 1,7 Billionen USD und 123.000 Mitarbeitenden entsteht eine Bank, die zweimal so groß ist, wie das Schweizer Bruttoinlandsprodukt.

BANKENAUFSICHT – STRINGENTER ALS ZUVOR, aber mit LUFT NACH OBEN

  • Basel IV wird wohl so in der EU durchgehen. Die für deutsche Banken so wichtigen Kompromisse / Erleichterungen für Mittelstands- und Immobilienfinanzierungen werden wohl schwer durchzuholen sein.
  • Das gleiche gilt für die EU-weite Einlagensicherung (EDIS). Ausnahmen für Sparkassen und Geno-Banken und der Schutz deutscher Einlagensicherungstöpfe werden schwer verhandelbar sein.
  • Leerverkäufe (Shorts) auf Finanzwerte sollten – wie in der Finanzkrise auch – unmittelbar verboten werden. Es verdienen nur Hedgefonds, also Hasadeure und reine Spekulanten, die keinerlei Interesse an einer stabilen Gesamtlage haben!
  • Die Bankenregulatorik muss insbesondere im Bereich Liquiditäts- und Konzentrationsrisiken nachschärfen. Zwar hat die BaFin die Themen Zinsänderungs- und Refinanzierungsrisiko bereits als Fokusrisiken, aber es muss integraler Bestandteil der europäischen und nationalen Bankenaufsicht werden. CS ist ein gutes Beispiel, weil deren regulatorische Kernziffern auch Ende 2022 immer noch gut waren: CET1 14,1%, Leverage Ratio 7,7%, LCR 144%!

AKTUELLE ENTWICKLUNG

  1. Banken sind seit Basel III (2014) definitiv sicherer aufgestellt als vor der Finanzmarktkrise:
    Sie halten mehr und besseres Eigenkapital, Meldevorschriften haben sich verschärft, Institute müssen für den K-Fall ein Testament für ihre Abwicklung haben, … All das schützt bis zu einem gewissen Grad. Wenn Kunden allerdings massenweise Gelder abziehen oder wenn Banken ein sehr ausgeprägtes Depot-A-Geschäft (Eigenanlagen) haben, kann und wird eine Bank in ernste Probleme geraten. Dies wird m.E. allenfalls auf eine geringe Anzahl und eher auf sog. weniger signifikante Institute zutreffen.
  2. Nichtsdestotrotz haben alle Banken ihre Kreditbedingungen – zurecht – verschärft. Sowohl im privaten, wie im gewerblichen Kreditgeschäft. Warum?, weil die Zinslast höher ist, weil die Energiekosten hoch sind, weil die Gefahr einer Rezession droht … Zu einer ausgeprägten Kreditklemme wird es nicht kommen.
  3. Aktuell verschieben Kunden Einlagen und kaufen wieder attraktiver verzinste Anleihen oder ziehen zu Banken mit höheren Geldmarktsätzen (ING zahlt seit Ostern wieder 3% !!). In den USA flüchten Einleger zu den Geldmarktfonds (+300 Mrd. $ auf 5,2 Bill. $) und großen Banken. Experten befürchten Liquiditätsprobleme für kleine bis mittelgroße US-Banken (analog SVB, Signature Bank, First Republic Bank) und infolge eine Kreditklemme für kleine Unternehmen. Dies ist nicht gänzlich unwahrscheinlich, da gerade die kleineren, regionalen Banken überproportional den kleineren und regionalen Unternehmen mit Krediten zur Verfügung stehen. Letztlich halte ich es allerdings für unwahrscheinlich (Risiko < 30%), da – bevor dies passiert – die US-Regierung sich mit Schutzprogrammen für die mid-sized banks einsetzen wird.
  4. CDS-Prämien für Banken steigen massiv, weil der Markt aufgrund der Turbulenzen der vergangenen Tage insgesamt verunsichert ist. Die Ausfallprämie für die Deutsche Bank hat sich kurzfristig verdoppelt, auch weil Hedgefonds mit Shorts massiv gegen die Banken wetten.
  5. Als besonders gefährlich werden im Moment gewerbliche Immobilienfinanzierungen eingeschätzt – in Europa und den USA. In Finnland fiel ein Kredit eines Blackstone-Fonds mit knapp 300 Millionen € aus. Der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) hat schon Anfang d.J. auf die zunehmende Verwundbarkeit im (Fonds)-Gewerbeimmobiliensektor in Europa hingewiesen. Immofonds sind in den letzten zehn Jahren stark gewachsen und halten inzwischen 40% der Gewerbeimmobilien in der Eurozone. Hohe Abflüsse könnten die Finanzstabilität durchaus gefährden.
  6. Gleichzeitig müssen sowohl Kunden als auch Banken mit deutlich höheren Zinsen für ihre Anschlussfinanzierungen in der Immo-Finanzierung rechnen – teilweise haben sich die Zinsen mehr als vervierfacht. Das wird nicht jeder Kunde durchstehen.

FAZIT

Insgesamt also durchaus eine gefährliche Gemengenlage, die das theoretische Potential zu einem Szenario „Lehman 2.0“ hat. Dies wäre insofern tragisch, da die Möglichkeiten für Rettungsfonds inzwischen überschaubar sind. Zu viel haben Regierungen für Corona-Hilfen, Ukraine-Kriegsfolgen und Energiekosten-Dämpfung bereits ausgegeben.

Die Wahrscheinlichkeit für globale Verwerfungen halte ich u.a. aufgrund der besseren Kapital- und Liquiditätsausstattung der Banken und der stringenteren Aufsicht für geringer als 40%. Sollten sich allerdings andere Risiken ergeben, z.B. geopolitische Konflikte ergeben oder ausdehnen, wäre die Situation eine gänzlich andere.

 

In unserem offenen Seminar Banking für Berater und Quereinsteiger erläutern wir die Zusammenhänge im Detail und auch im Workshop Banken 2030 gehen wir darauf ein.

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